Das Spiel mit der Scham

Es kann eine gefährliche Gratwanderung sein, vor allem wenn man seinen Partner noch nicht ausreichend kennt, aber es bietet auch viele Möglichkeiten das Spiel auf eine intimere Ebene zu heben. Es geht um ein Thema, das wahrscheinlich jede Art zu Spielen mit einander verbinden kann und vielleicht sogar zu den ältesten Aspekten der Sexualität. Es geht um: Scham.

Wenn ich so zurückdenke an meine ersten Berührungspunkte mit BDSM war Scham definitiv ein Teil davon. In meinem Beitrag: Mein Grund bin ich bereits ein Stück weit darauf eingegangen. Es war in einem Klub in Berlin, den es jetzt leider nicht mehr gibt, und ich war nur Zuschauer. Meine zukünftige Freundin und erste Sub hat sich dort von einem Pärchen bespielen lassen. Ich war noch völlig unerfahren und konnte nicht mehr tun, als beeindruckt zuzusehen. Das Gefühl hier einfach anwesend zu sein und dieser Situation beizuwohnen war heftig. Zu sehen, wie sie dort von Schlägen und Nadeln traktiert wurde und dabei Lust empfand, und ich, der das alles mitbekommen hat und ebenfalls anfing dabei Lust zu empfinden… Mir einzugestehen, dass mir so etwas gefällt war im ersten Augenblick beschämend für mich. Es war völlig anders als alles, was ich bis dahin mit Sex oder Leidenschaft verbunden hatte. Danach haben wir miteinander gesprochen und ich versuchte so lässig wie möglich zu fragen, wie es ihr geht – innerlich war ich völlig aufgewühlt und das, obwohl ich doch nur Zaungast war.

Dieses Gefühl wurde noch dadurch verstärkt, dass mir der Austausch mit anderen komplett gefehlt hat. Es hilft nicht unbedingt, wenn man nur Leute um sich rum hat, die das als normal betrachten, was für einen selbst eher ein Gamechanger ist.

Ich fing also an, mich auf eigene Faust zu informieren und wie macht man das? Richtig, Pornos gucken! Das bei diesen Filmen natürlich einiges völlig überzogen dargestellt wird, war mir schon damals klar, aber man bekommt eben doch einige Spielsachen zu sehen, das sehr deutliche Machtgefälle und die Lust… Wie schamlos dort Dinge gemacht und gezeigt wurden, zu denen ich entweder noch keinen Zugang oder nur Fantasien hatte. Das Fesseln in unbequeme, beziehungsweise obszöne Posen, die dem Beobachtenden Einblicke in Bereiche des Körpers gewährten, die so privat und intim waren, dass es für mich damals eventuell nur einer Hand voll Menschen überhaupt erlaubt war, zu sehen, was nun für alle sichtbar war. Keine Chance sich zu verstecken oder der Situation zu entfliehen. Es war und ist berauschend.

Genug nun aber von meinen Anfängen, es soll um die Gegenwart gehen und wie man Scham behutsam in sein Repertoire einfügen kann.

Was ist Scham und wie spielt man damit?

Ich möchte euch jetzt gar nicht mit Auszügen eines Wiki-Artikels quälen, aber eines steht fest: Scham tragen wir alle in uns, sie ist uns angeboren. Für mich hat es immer bedeutet, in einer Situation zu sein, die ungewohnt und zu teilen auch unangenehm ist. Man bewegt sich im Spiel mit ihr eigentlich immer an einer Grenze, die schwerer im Blick zu behalten ist, als zum Beispiel der Schmerz oder die richtige Lage eines Seils. Aber: Scham kann auch eng mit Lust verbunden sein oder aktiv damit verknüpft werden, sie kann eine spielerische Art und Weise sein, uns mit unserer Lust auseinander zu setzen. Sie wird dadurch zum Potential für ein besseres Verständnis für uns selbst.

Ich nutze Scham gerne nicht nur während einer Session, sondern auch im alltäglichen Geplänkel. Dabei geht es zum Beispiel darum, dass ich meine Sub um Dinge bitten lasse. Ich könnte ihr natürlich einfach den Hintern zur Strafe versohlen, aber es hat eine ganz andere Wirkung für mich und auch für sie, wenn sie mich darum bittet, von mir bestraft zu werden. Die Funktion der Bitte kann sehr anregend sein. Sie muss sich eingestehen, dass es nicht nur ich bin, der pervers ist und dem diese Dinge gefallen. Ich bin nicht der Grund für die geheimen Wünsche und das Kopfkino. Das steckt alles in ihr drin und in dem ich sie dazu auffordere, zwinge ich sie in gewisser Weise dazu, sich das einzugestehen. Du tust das nicht, weil ich es von dir will oder es dir befehle. Du willst das auch und ich möchte, dass du mir sagst, das ich dich wie das kleine geile Fickstück nehmen soll, das du bist.

Man kann natürlich auch noch anders mit Scham spielen, aber das war jetzt eine sehr einfache Möglichkeit, die erstmal keinen Schaden anrichtet.

Ob es nun also um Dirty Talk geht, was das vorherige Beispiel ja schon ein wenig angerissen hat, oder darum, dich an einem offenen Fenster mit einem Knebel im Mund zu vögeln, immer mit der Option, dass man dich sehen könnte – es gibt unendlich viele Möglichkeiten mit der Scham zu spielen. Sex vor einem Spiegel oder Fesselungen in Positionen, die mehr offenlegen als du möchtest, vielleicht sogar davon Fotos/Videos zu macht, die ich dir dann zeige, damit du die Dinge an dir so siehst/hörst wie sie dir eher weniger bis gar nicht bewusst sind. Man kann seine/n Sub auch etwas bestimmtes in der Öffentlichkeit tragen oder eben nicht tragen lassen. Vielleicht möchte ich ja, dass du uns telefonisch eine Pizza bestellst, während ich dich von hinten nehme. Man könnte auch ein schriftliches Kopfkino darüber verlangen, wie man sich Sex mit dem Partner vorstellt. Scham kennt viele Wege und sie alle aufzuzählen würden den Rahmen dieses kleinen Beitrag ziemlich sicher sprengen.

Man muss sich heran tasten. Es ist wie bei allem im BDSM: Schrittchen für Schrittchen.

Wo kann es gefährlich werden?

Wieso spreche ich im Bezug auf Scham teilweise wie von einem Gefahrenstoff? Weil gerade wenn es um den Kopf geht, viel schief gehen kann. Ein Beispiel: Wenn ich weiß, das meine Sub mit ihrem Körper unzufrieden bist, dann ist es völlig egal ob ich das genau so sehe wie sie oder nicht. Je nach Ausprägung können Aufgaben die diesen Punkt thematisieren sehr gefährlich werden. Wir reden hier von einem – im schlimmsten Fall – massiven Schaden. Da kannst du dich im Anschluss entschuldigen soviel du willst, verarbeiten muss das jemand anders.

Scham kann – wie Erniedrigung – sehr viel mehr triggern, als einem erstmal bewusst ist. Es ist verdammt sichtig das man hier die Limits des/r Anderen kennt und respektiert.

Das Prinzip „Scham“ kann ein bisschen widersprüchlich im BDSM wirken. Wir spielen damit, aber eigentlich stehen wir ja alle für eine möglich offene Sexualität ein in der man sich eben nicht für seine Lust schämen sollte. Sie ist eventuell ein bisschen wie Feminismus und BDSM. Es schließt sich nicht aus, weil man sich freiwillig dafür entscheidet und es sich um kontrollierte Situationen handelt, die immer einen Ausweg bieten und im gegenseitigen Einvernehmen stattfindet. BDSM stellt nicht die Realität dar, die ich mit meiner/m Partner lebe, weil ich ihm/ihr niemals absichtlich schaden wollen würde ohne vorher abgesteckte Grenzen.