Oh Mann, das wird jetzt wahrscheinlich der persönlichste Beitrag, der hier je auf dem Blog erschienen ist, aber mit etwas Glück hilft er ja jemandem da draußen, und sei es auch nur im Bezug darauf, dass man sich nicht mehr ganz so alleine fühlt.
Es soll darum gehen, wie meine Depressionen mich beeinflussen und auch, wie sich mein BDSM dadurch verändert – oder eben auch nicht. Dieser Beitrag ist eine Momentaufnahme, damit möchte ich sagen, dass ich hier keine Lösung anbieten kann, beziehungsweise will. Ich kann nur einen Einblick in meine derzeitige Situation liefern und wie ich daran arbeite besser mit mir und anderen umzugehen. Legen wir also los.
Ich möchte nicht auf die Ursachen eingehen, die mich zu dem gemacht haben, der ich bin. Das würde hier zu weit führen und auch wenn ich geschrieben habe, dass dieser Beitrag sehr persönlich wird, muss ich Grenzen ziehen. Ich hoffe, du verstehst das.
Die Liste
Wo fange ich an? Vielleicht mal damit, warum ich diesen Beitrag eigentlich schreiben wollte. Gelinde gesagt: Es geht mir nicht gut. Jeder, der mich näher kennt, wird sich wahrscheinlich ein bitteres Lachen nicht verkneifen können. Auf Anraten eines sehr guten Freundes habe ich vor einiger Zeit eine Liste geschrieben mit Dingen, die mich unglücklich machen, und nach einigen Minuten hatte ich eineinhalb DIN A4-Seiten zusammen. Stichpunkte, nichts ausführliches. Es hat mir im ersten Moment ziemlich Angst gemacht, dass ich so mühelos herunter schreiben konnte, was mich in den letzten Jahren Tag für Tag begleitet hat. Diese Liste bestand ausschließlich aus Dingen, die ich jeden Tag seit ca. 5 Jahren so empfinde. Nicht immer gleich intensiv, aber immer vorhanden. Abends war es besonders schlimm, weil dann einfach nichts mehr da war, dass mich ablenken konnte. Regelmäßige Panikattacken und schlaflose Nächte waren/sind die Folge, es ist aber mittlerweile schon besser. Nicht, dass die Liste kleiner geworden ist, aber zumindest habe ich jetzt Abends häufig meine Ruhe, weil ich jetzt Tabletten nehme, die mir beim Einschlafen helfen.
Kommen wir aber zurück zur Liste. Meine erste Reaktion war: Fuck, du bist deutlich mehr im Arsch, als du dachtest und gleich danach: Wie habe ich das die letzten Jahre gehandled? Die Antwort war relativ klar, ich habe mir das nie richtig bewusst gemacht. Klar, da waren negative Gedanken, aber die hat doch jeder und aktuell ist es halt scheiße („aktuell“ ist ein Zustand, der schnell dauerhaft werden kann, ohne, dass man es merkt). Beim Anblick dieser Liste wurde mir klar, dass ich das nicht überleben werde, wenn ich nichts ändere.
Mein erster Weg führte mich zu meinem Hausarzt. Ich habe die Liste mitgenommen, weil mir klar war, dass ich spätestens im Wartezimmer nicht mehr weiß, was ich ihm sagen soll. Sagen wir es mal so: Man bekommt von seinem Arzt selten eine hochgezogene Augenbraue, aber als er mit Lesen fertig war und ich ihn darauf hingewiesen habe, dass es auf der anderen Seite weiter geht, hatte ich dieses Achievement unlocked. Eine zweifelhafte Ehre möchte ich sagen. Wir haben ein paar Möglichkeiten durchgesprochen und er hat mir oben erwähntes Medikament verschrieben. Leider gibt es hier in Bayern für Therapieplätze keine Wartelisten im herkömmlichen Sinne. Man ruft an und die haben dann einen Termin oder nicht. Man kann es öfter versuchen in der Hoffnung, dass ein Termin platzt, den man dann haben kann. Andere Möglichkeiten sind die Telefonseelsorge oder Notfallsprechstunden. Sonst kann man da nicht viel machen. Ich habe jetzt einen Termin für Ende des Jahres und es fühlt sich gut an, dass er da ist. Das alleine reicht aber nicht, weil mir vieles klarer geworden ist, seit ich mir eingestanden habe, dass ich da alleine nicht rauskomme.
Gefahr erkannt, Gefahr gebannt?
Nein, leider überhaupt nicht. Im Grunde sogar das Gegenteil. Mir eingestanden zu haben, das ich völlig kaputt bin, hat mich wesentlich dünnhäutiger gemacht. Ich bin mir im Laufe der letzten Wochen vieler meiner Ängste bewusst geworden und jetzt sehe ich sie überall schon von weitem. In Gespräche, anstehenden Problemen, in mir selbst und auch in der Reaktion von anderen auf mich. Mir ist aufgefallen, dass ich mich im Grunde ständig vergleiche und dabei nie gut wegkomme. Komplimente kann ich nicht annehmen, nicht weil sie mir peinlich wäre, sondern weil ich bis auf meinen Kern davon überzeugt bin, dass sie nicht gerechtfertigt sind. Ich schreibe diesen Beitrag übrigens gerade in der Arbeit, was verdammt gut ist, denn nur diese Corsage sorgt dafür, dass ich gerade nicht Rotz und Wasser heul‘. Mir fallen seit dem Dinge in meiner Kommunikation mit anderen auf, die mir deutlich zeigen, wie toxisch ich eigentlich geworden bin. Diese ständige Negativität, von der ich denke, dass sie in allem mitschwingt, was ich sage. Im Laufe der Jahre habe ich mich von vielen Menschen getrennt. Weil sie mich enttäuscht haben, weil ich sie enttäuscht habe. Es ist nicht so, dass wir einfach keinen Kontakt mehr haben. Ich habe ihre Nummern und Daten aktiv gelöscht, damit ich keine Chance mehr habe mich bei ihnen zu melden – vorher habe ich sie häufig blockiert, damit sie sich nicht wieder bei mir melden können. Das war für mich eine völlig normale Reaktion, die ich mit Konsequenz gerechtfertigt habe. Selbst jetzt, wo ich das weiß, verhalte ich mich noch so. Ich bin aus irgendeinem Grund davon überzeugt, dass ich keine zweite Chance verdiene, und räume sie deswegen wohl auch nur den wenigsten ein. Das sind jetzt nur ein zwei Beispiele. Wenn ich euch sage, dass das die Spitze eines Eisbergs wäre, dann müsste ich lügen. Wir sehen hier gerade mal die Nebelbank und sind noch Meilen von einem Eisberg, geschweige denn der Spitze entfernt.
Ein Schmetterling für alle Fälle
Diese ganzen Themen sind nie Teil des Spiels, wenn ich Dom bin. Meine Verantwortung und Sorgfaltspflicht gegenüber meines Schmetterlings lässt mich die vorangegangenen Punkte abstreifen. Wenn wir gemeinsam spielen, dann lenke ich mich nicht ab. Ich laufe nicht davon. Es ist eher so, dass ich mir dann keine Sorgen machen muss.
Ich denke, wenn wir them hier nach einem Statement fragen würden, dann fiele das wohl recht gut aus für mich. Wie ich allerdings mit Komplimenten umgehe, habe ich ja gerade schon erläutert. Schwierig wird es eigentlich nur dazwischen, weil ich da wieder ich sein muss.
Wenn es zum Beispiel darum geht, Freiheiten zu gewähren. Im Vergleich mit anderen sehe ich mich immer als schlechtere/minderwertige Alternative an. Die Vorstellung, dass they nicht gleich einen besseren findet, wenn they mit einer anderen Person spielt, ist für mich völlig absurd. Muss ja so sein, immerhin trennen uns mehrere 100 km und der Altersunterschied ist auch nicht ohne. Zu allem Überfluss habe ich ja im Bett auch nichts drauf und vom Aussehen fangen wir besser gar nicht erst an. In einem anderen Beitrag würde jetzt hier stehen Spaß bei Seite, aber das hier ist leider nicht so ein Beitrag. Das ist die Art wie ich mich sehe. Immer. They gibt mir keinen Grund, so über mich zu denken, aber so ist das eben mit den Depressionen. Egal, wie viele Menschen dir sagen, dass du gut bist, wie du bist, oder vielleicht sogar mehr als das… Es gibt nicht an, dafür sorge ich nach Kräften – und es kostet so viel Kraft.
Trotzdem aufstehen, trotzdem zur Arbeit, diese ganzen alltäglichen Aufgaben, die man so zu bewältigen hat, und bloß das Lächeln nicht vergessen, nicht, dass sich noch einer Sorgen macht. Das klingt vielleicht nicht nach viel, beziehungsweise wird der ein oder andere sagen: „Hatte ich auch schon, solche Tage gehen vorbei.“ Tja, am Ende des Tages hat jeder Tag ein Ende. Da kann man nicht viel sagen und wenn es nur ein Tag, eine Woche, ein Monat oder ein schlechtes Jahr wäre, ach das wäre schön. So ist es aber nicht. Tatsache ist: Es. Endet. Niemals. Zumindest für mich, wenn ich weiter versuche, es ohne Hilfe zu schaffen.
Glücklicherweise habe ich meinen kleinen Schmetterling an meiner Seite, mit dem ich langsam beginne, eine andere Sicht auf mich zu entwickeln. Ich möchte nicht verheimlichen, dass they auch ein massiver Trigger für viele meiner Ängste ist. Ich weiß jetzt aber einfach etwas mehr über mich und kann mit für mich schwierigen Situationen besser umgehen. Früher hätte ich einfach alles für beendet erklärt, den Kontakt abgebrochen und sie auf allen Kanälen blockiert. Man soll aber den Tag nicht vor dem Abend loben. Aus Gründen des Selbstschutzes in alte Muster zurückzufallen ist nämlich auch so eine Sache…
Ich denke, ich habe vorerst genug geschrieben. Der Weg ist noch lang, aber ich habe angefangen, ihn zu gehen. Es wird ein hartes Stück Arbeit die Mauer, die ich aufgebaut habe um das Vergangene zu überstehen, wieder abzutragen. Hätte ich mir früher Hilfe suchen sollen? Ja, wahrscheinlich. Konnte ich es? Nein. Solche Entscheidungen sind schwer, weil man sich viele unangenehme Dinge eingestehen muss und das braucht seine Zeit, bis man das kann.Abschließend noch: Wenn es dir schlecht geht und du das Gefühl hast, dass dieser Zustand nicht mehr nur temporär ist, sondern eigentlich dein Leben, deinen Alltag bestimmt, dann rede mit anderen darüber. Wenn es keine Person für dich in deinem Freundes- oder Familie gibt, der du dich anvertrauen kannst oder willst, dann rede vielleicht mit deinem Hausarzt. Du kannst auch die Telefonseelsorge anrufen. Deine Ängste und Sorgen erscheinen dir eventuell unwichtig, aber sie sind es nicht. Hol’ dir Hilfe, wenn du kannst.