Von Herr Shibari

Es ist Mitte August, die Sonne scheint, ein leichter Windhauch weht durch die Gassen der Stadt und verschafft etwas Erleichterung gegen die aufkommende Mittagshitze. Leise ist entfernt der Verkehr zu hören, in den Bäumen zwitschern aufgeregte Vögel und neben meinem Tisch streiten sich ein paar Spatzen um ein versehentlich fallengelassenes Stück Croissant. Es ist mein zweiter Kaffee und du verspätest dich etwas, ob es eine Angewohnheit von dir ist, weiß ich nicht, denn wir sehen uns heute erst zum zweiten Mal. Ich nippe nochmal an meinem Kaffee, denke an die Umstände unserer Bekanntschaft und muss lächeln. Es ist so unwirklich und ich müsste lügen, wenn ich sagen würde, dass es mir nicht auch etwas Angst macht, wie tief ich dich schon in meine Gedanken- und Gefühlswelt  habe eindringen lassen. 

Ein Abend bei Bekannten hat dich in mein Leben gebracht. Anfangs bist du mir überhaupt nicht aufgefallen, ich mischte mich unter die Leute und schaute gerade etwas gelangweilt in die Runde, als du mich angerempelt hast. Nach deiner Entschuldigung führte eins zum anderen und ehe wir uns versahen, steckten wir mitten in einer angeregten Unterhaltung. Wir stellten fest, dass uns einiges verband, vor allem unser sehr eigener Humor. Es bestand absolut kein Hintergedanke, das Gespräch mit dir war so angenehm, dass ich es einfach bedauert hätte, wenn wir einander aus den Augen verloren hätten, also fragte ich dich nach deiner Nummer. Unsere Gedanken wurde mit der Zeit immer persönlicher und auch wenn wir uns erst seit wenigen Wochen kannten, war uns beiden auf eine sehr verwirrende Art klar, dass es zumindest eine sehr intensive Freundschaft ist, die sich hier vor uns aufbaute. Wir erzählten einander von unseren Vorlieben, Ängsten, Sehnsüchten und Problemen und telefonierten irgendwann beinahe täglich, mehrere Stunden. So simpel es klingt, wir waren einfach füreinander da. Im Zuge der tiefer werdenden Gespräche sind wir natürlich auch immer mal wieder auf das Thema Sex gekommen. Anfangs noch im Scherz, wurden unsere Aussagen doch immer bildlicher und eine gewisse Spannung baute sich zwischen uns auf. Das war auch der Grund, warum wir uns für dieses Café entschieden hatten. Ein neutraler Ort erschien uns beiden das beste zu sein, um einander vorsichtig abzutasten. Hätten wir uns privater getroffen, wären wir sicher im Bett gelandet. 

Ich sehe gerade von meinem Handy auf, als du plötzlich neben mir stehst. Du trägst ein luftiges Sommerkleid, das deine natürlichen Vorzüge an den richtigen Stellen wundervoll betont, und ein Paar flache Schuhe, deine Haare sind zu einem Zopf zusammengebunden. Wir nehmen uns zur Begrüßung in den Arm und setzen uns dann. Ich bestelle dir eine Schorle, du scheinst dich sehr beeilt zu haben, um mich nicht noch länger warten zu lassen. Anfangs dreht sich das Gespräch noch um Belanglosigkeiten. Nichts, was wir uns nicht schon dutzende Male am Telefon gefragt, oder gesagt hätten. Wir sind beide etwas nervös, wir scheinen bereits alles übereinander zu wissen und doch haben wir uns noch nie so erlebt, so direkt. Die Kellnerin unterbricht uns, als sie dir dein Getränk bringt. Wir unterhalten uns, lachen und lernen uns ganz neu kennen…

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