Die richtige Anzahl an Sexualpartnern

Heute geht es um ein etwas anderes Thema, das nicht unbedingt mit BDSM zusammenhängt, mir aber trotzdem sehr am Herzen liegt. Die großartige girlonthenet, deren Blog ich an dieser Stelle sehr empfehlen möchte, hat einen Beitrag mit dem Titel “Sorry sluts, your vagina doesn’t have a ‘clear history’ button” geschrieben, in dem ich mich sehr stark wiederfinde und zu dessen Thema ich auch ein paar Worte loswerden möchte.

In ihrem Beitrag geht es darum, dass Menschen über eine Google-Suche mit den Begriffen “Sorry sluts, your vagina doesn’t have a ‘clear history’ button” auf ihren Blog gestoßen sind, und dass es anscheinend Menschen gibt, die dieses veraltete Weltbild weiter propagieren.

In welchem Jahr leben wir nochmal?

Auch im Jahr 2019 werden Frauen immer noch aufgrund der Anzahl ihrer Sexualpartner diskriminiert und als Schlampe betitelt. (Kurze Randnotiz: Ich habe tatsächlich noch nie mitbekommen, dass Männer für das gleiche Verhalten negativ beurteilt werden, was es nur noch absurder macht… Hallo Doppelmoral!) Das Ganze wird dann mit vollkommen unpassenden Schlüssel-Schloss-Metaphern ausgeschmückt oder es wird davon gesprochen, dass eine Vagina durch eine bestimmte Anzahl an Sexualpartnern ausleiert – was natürlich rein anatomisch gesehen vollkommener Unsinn ist und auch logisch wenig Sinn ergibt. Immerhin dürfte es mathematisch keinen Unterschied machen, ob man einhundert Mal mit dem gleichen Penis Sex hat, oder mit hundert Penissen jeweils einmal. Aber mit Logik muss man bei den Verfechtern dieser Meinung wohl gar nicht erst anfangen.

Schlam·pe/ˈʃlampə/ Substantiv, feminin [umgangssprachlich abwertend]

Was soll das überhaupt sein, eine Schlampe? Es gibt sicher viel zu viele Definitionen, um sie hier alle aufzulisten. Letztlich geht es aber immer darum, eine Frau abzuwerten, weil sie zu viele Sexualpartner hatte. Aber was bedeutet ‘zu viele’? Laut einer Studie haben Deutsche in ihrem Leben etwa sechs Sexualpartner, Männer allerdings mehr als Frauen, die bei einem Schnitt von gut vier Partnern landen. Vier! Wenn man davon ausgeht, dass man eine Schlampe ist, wenn diese Zahl überschritten wird, bin ich definitiv eine – und zwar mit Stolz. Und zwar obwohl ich noch keine 30 bin und acht meiner elf sexuell aktiven Jahre in monogamen festen Beziehungen verbracht habe.

Ja, ich hatte schon Sex bei ersten Dates (unter Anderem mit Herr Shibari, mit dem ich mittlerweile mehrere Jahre glücklich zusammen bin). Ja, ich hatte schon One-Night-Stands, aus denen nichts geworden ist, weil er oder ich nicht wollte, oder weil der Kontakt einfach im Sande verlaufen ist. Ich hatte guten und schlechten Sex und ich möchte auf keine dieser Erfahrungen verzichten. Denn jede einzelne von ihnen hat mir etwas über Sex an sich oder über mich beigebracht. Manchmal war das nur, dass ich eine bestimmte Praktik nicht mag. Manchmal, dass ich mich von bestimmten Menschen besser fernhalten sollte. Manchmal hat es mir aber auch einen enormen Selbstbewusstseinsschub gegeben und meine Bedürfnisse befriedigt.

Der Wert meiner Vagina

Nach meiner ersten Beziehung war es mir wichtig, mich auszuprobieren. Ich hatte fünf Jahre lang Sex mit dem gleichen Mann und in der ganzen Zeit vielleicht zwei Orgasmen. Erst nach dem Ende der Beziehung habe ich entdeckt, wie gut Sex sein kann und wollte mich dann auch ausprobieren und besser werden. Natürlich habe ich immer darauf geachtet, dass Kondome verwendet werden. Nicht nur wegen dem Schwangerschaftsrisiko, sondern auch wegen der Krankheitsübertragung – auch ein noch so netter Kerl kann einem beispielsweise HPV übertragen, ohne dass er selbst davon weiß. Und Vorsorge ist hier wirklich IMMER besser als Nachsorge.

So viele verschiedene Sexualpartner, wie es jetzt hier den Anschein macht, hatte ich allerdings auch wieder nicht. Ich habe mit meinem jetzigen Partner mal versucht, zu zählen, allerdings sind wir schon daran gescheitert, eine genaue Definition für “Sex” zu finden. Bei der Zahl macht es nämlich einen gewaltigen Unterschied, ob man nur die “klassische” Penis-in-Vagina-Penetration zählt, oder ob auch Oralsex oder Handjobs mitzählen.

Letztlich waren wir uns aber auch einig, dass es uns herzlich egal ist, wie groß die Zahl der Menschen ist, die man vor der Beziehung nackt gesehen hat. Herr Shibari profitiert von meinen Erfahrungen vor unserer Beziehung, genauso wie ich von seinen. Letztlich glaube ich sowieso, dass es mehr Spaß macht, einen Blowjob von einer Frau zu bekommen, die weiß, was sie da tut. Meine ersten Blowjobs waren sehr zurückhaltend und wahrscheinlich nicht besonders gut, da braucht es einfach Zeit und Erfahrung, um locker zu werden und sich fallen zu lassen. Genauso ist es auch bei der Penetration: Beide haben mehr davon, wenn das Gegenüber sich selbstbewusst am Sex beteiligt – und Selbstbewusstsein kommt in der Regel durch Erfahrung, ob die nun mit einem einzigen oder vielen verschiedenen Partnern gesammelt wurde.

Selbstwert und Erwachsenwerden

Natürlich habe ich mir während der Zeit, als ich Single war, viele Gedanken über das Thema gemacht. Ich hatte viel zu lange Angst, für “die guten Männer” nicht mehr gut genug zu sein, weil ich schon mit zu vielen anderen Sex gehabt hatte. Immerhin hatte ich in meinem Freundeskreis mit Abstand am meisten Sex (vielleicht habe ich aber auch als einzige offen darüber geredet). Aber irgendwann ist mir eine ganz wichtige Sache klar geworden: Ein Mann, der derartig viel Wert darauf legt, dass die Sexualpartner seiner Freundin an einer Hand abgezählt werden können, ist kein Mann, mit dem ich mein Leben verbringen möchte. Dieses vollkommen unnötige Slut shaming ist eine Einmischung in mein Leben, die wirklich niemandem zusteht. Es ist eine Entscheidung, die ich für mich getroffen habe und mit deren (positiven und negativen) Konsequenzen ich alleine leben muss. Eine so rückständige Weltanschauung ist mit meiner eigenen schlicht und einfach nicht kompatibel und ich werde für einen Partner, der potentiell irgendwann in mein Leben treten könnte, sicher nicht meine Lebensqualität und meine Freiheit einschränken. Ich wünschte nur, diese Erkenntnis und dieses Selbstbewusstsein wären früher gekommen. Wahrscheinlich gehört dieser Prozess aber einfach zum Erwachsenwerden dazu.

Ich bin also nicht der Meinung, dass ich einen ‘clear history’ button brauche. Ganz im Gegenteil: Ich muss den “Verlauf” meiner Vagina nicht löschen, denn er hat mich zu der Person gemacht, die ich heute bin, mit allen positiven und negativen Erfahrungen. Meine Vagina, und vor allem die Anzahl der Penisse, die darin waren, definiert nicht meinen Wert als Mensch oder Partnerin – und jeder Mensch, der ernsthaft daran glaubt, sollte mal ganz grundsätzlich über seine Standpunkte im Bereich Moral und Heuchlerei nachdenken. Mit wie vielen Menschen ich Sex hatte, geht – wenn überhaupt – nur meinen Partner etwas an und ob mich deshalb jemand als Schlampe sieht, ist mir wirklich herzlich egal. 

Meine Botschaft an alle Leserinnen

Jeder (jungen) Frau, die sich aufgrund der Angst, als Schlampe abgestempelt zu werden, Erfahrungen vorenthält und nicht so lebt, wie sie möchte, will ich nur eines mitgeben: Scheiß auf die Menschen, die dir Vorschriften machen möchten. Leb dein Leben so wie du willst, habe Sex mit wem du willst (solange du dich damit wohlfühlst) und leb einfach dein Leben, so wie du es möchtest. Die Anzahl deiner Sexualpartner sagt rein gar nichts über deinen Wert oder den deiner Vagina aus. Es gibt nur eine Einschränkung: Benutzt immer ein Kondom (ja, auch wenn er es nicht möchte und sich herausreden will – lieber gar kein Sex als ungeschützter Sex).

Die Verantwortung liegt bei uns allen

Und euch alle, liebe Leser, möchte ich dazu auffordern, über dieses Thema zu sprechen. Lasst uns gemeinsam das Tabu brechen und archaische Frauenbilder in die Vergangenheit verbannen. Teilt diesen Beitrag und/oder schreibt selbst etwas dazu. Teilt eure Meinung dazu auf allen Kanälen, über Twitter, Facebook, Blogs oder in persönlichen Gesprächen. Ich würde mir wünschen, dass junge Frauen nicht mehr in einem so toxischen Umfeld aufwachsen müssen und einfach ihr Leben genießen können. Je mehr wir darüber reden, desto besser!